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Bosnien und Herzegowina: Überlebende besuchen Orte der Inhaftierung

Es geht ihnen um Erinnerung, um die Anerkennung ihres Leids und vor allem um Versöhnung: Gemeinsam mit Vertreter*innen des ZFD-Partners Centre for Nonviolent Action (CNA) und Kriegsveteranen haben kürzlich Überlebende von Gefangenenlagern in Bosnien und Herzegowina die Orte besucht, an denen sie während des Bürgerkriegs Anfang der 1990er Jahre gefangen gehalten und misshandelt wurden. Begleitet wurden sie dabei von Vertreter*innen der regionalen Presse.

Zu den ehemaligen Internierungslagern, die die Gruppe im März 2024 besichtigte, gehörten das Gefangenenlager Čelebići in Zentralbosnien, das Heliodrom (eine ehemalige Militärbasis) in Mostar, eine ehemalige Schule in Zijemlje und das „Museum der Schlacht für die Verwundeten der Neretva“ in Jablanica, das ebenfalls ein Gefangenenlager war. 

Alle diese Orte wurden in mehreren Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und anderer Gerichte in Bosnien und Herzegowina als Hafteinrichtungen anerkannt. Mehrere Personen wurden für Verbrechen verurteilt, die an diesen Orten begangen wurden. Bislang wurde aber keine dieser Stätten als Hafteinrichtung markiert

Für ehemalige Häftlinge und Familien der dort Getöteten ist es oft besonders schmerzlich, dass ihnen der Zugang zu diesen Stätten verwehrt wird. Daher ist der gemeinsame Besuch solcher Orte auch als ein Appell an die Behörden zu verstehen, den Überlebenden, die für ihr Recht auf Erinnerung kämpfen, Unterstützung zukommen zu lassen. 

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„Das Leid hier war entsetzlich“

Für Slobodan Mrkajić aus Rogatica ist der Besuch in Čelebići, wo er mehrere Monate lang gefangen war, besonders emotional. Vor dem Hangar, in dem er mit anderen Mitgliedern seiner Familie inhaftiert war, sagt er: „Das Leid hier war entsetzlich. Es gab Vergewaltigungen, Folter, Schläge, Entführungen, Vermisste - einige Menschen sind bis heute nicht gefunden worden. Was hier passiert ist, es lässt sich nicht in Worte fassen.“

In den Jahren 1993 und 1994 wurde Marinko Ljoljo mehrere Monate lang im Keller des Museums der Schlacht um die Verwundeten an der Neretva gefangen gehalten. „Für die Einrichtung des Lagers, das von den örtlichen Behörden und der militärischen Führung gegründet wurde, ist fast niemand zur Verantwortung gezogen worden. Viele der Täter sind in der Zwischenzeit verstorben. Zwei Personen sitzen Haftstrafen ab, mehrere andere stehen wegen Misshandlung von Kriegsgefangenen vor Gericht. Über die zivilen Opfer wird nicht gesprochen. Die Staatsanwaltschaft verschließt die Augen und Ohren und bleibt stumm, wenn wir darauf drängen, dass die Anklagen erweitert werden müssen. Niemand mag die Überlebenden der Gefangenenlager, sie sind in ihren Gemeinden als Zeugen und Opfer unerwünscht", sagt er.  

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Gemeinsamer Umgang mit der Vergangenheit

Seit 2015 setzt sich CNA dafür ein, Orte, an denen Kriegsverbrechen geschehen sind, sichtbar zu machen. „Markierung von Orten“ nennen die Aktivist*innen diesen Ansatz. Längst haben die Gebäude und Gelände wieder andere Funktionen bekommen und oft erinnert äußerlich nichts mehr an die Schrecken des Bosnienkriegs, bei dem sich die drei größten Bevölkerungsgruppen Bosniak*innen, Kroat*innen und Serb*innen aufs Blutigste bekämpften. Doch ohne Erinnerung an das Geschehene, ohne Anerkennung des Leids auf allen Seiten, bleibt die Aufarbeitung schwierig. Die Verletzungen sitzen auch Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkriegs tief, Vorbehalte bestehen hartnäckig und die Menschen in der Region leben auch heute noch überwiegend ethnisch, religiös und räumlich voneinander getrennt. 

Mit den gemeinsamen Besuchen an den Orten der Verbrechen und ihrer Markierung fördert CNA die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ein friedliches Miteinander – auch wenn das nicht immer einfach und gern gesehen ist. Denn jede Gruppe pflegt ihre Version der Vergangenheit und bestreitet dabei häufig Kriegsverbrechen der eigenen Seite.

Wie wichtig ein gemeinsames Gedenken aber ist, betont Tamara Zrnović von CNA zum Abschluss der Besuchsreise: „In diesen zwei Tagen sind wir mit Menschen guten Willens von allen Seiten zusammengekommen, um zu zeigen, dass ein anderer, ein gemeinsamer Umgang mit der Erinnerung möglich ist. Wir wissen, dass wir die verlorenen Menschenleben und das erlittene Leid nicht wiedergutmachen können. Aber wir wollen alles in unserer Macht Stehende tun, um Beziehungen aufzubauen, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt sind. Das kann als Damm dienen gegen den drohenden Hass zwischen Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften.“


CNA, die langjährige Partnerorganisation des ZFD-Trägers KURVE Wustrow, trägt durch zahlreiche Initiativen zum Aufbau einer integrativen Erinnerungskultur in Bosnien und Herzegowina bei: zum Beispiel durch die Erforschung von Orten des Leidens und der Erinnerung für die Datenbank kulturasjecanja.org, durch Publikationen und die Ausstellung War of Memories; durch Programme der informellen Bildung, durch das Lernen aus den Erfahrungen anderer Länder sowie durch gemeinsame Gedenkaktionen von Kriegsveteranen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien.

Dieser Text basiert auf einem ausführlichen Beitrag der CNAEin Video der Veranstaltung können Sie bei YouTube anschauen. 

Fotos: CNA